Corona als Innovationstreiber: Juristische Arbeitswelt 5.0

Mai 2020
By Axiom Law

Im Jahr 2016 gab der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) eine Studie heraus, die unter dem Titel „Arbeiten 4.0“ eine Welt beschrieb, die futuristisch anmutete. Innerhalb der nächsten 15 Jahre sollten Konferenzräume zunehmend mit Technik ausgestattet werden, die es ermöglicht, ortsübergreifend zu kommunizieren.

Büros sollten insgesamt unwichtiger werden, sondern nur noch eine „Sphäre“ sein, unterstützt durch elektronische Kommunikation zwischen Mitarbeitern und mit Geschäftspartnern. Diese Zukunftsvisionen spielten sich nicht nur in Studien ab. Seit Jahren besteht eine visionäre Industrie rund um die Flexibilisierung der Arbeit, von der jährlichen Großkonferenz „Xing New Work“ in Hamburg über Anbieter wie WeWork bis zu zahlreichen Publikationen und Beratungsdienstleistern.

Im April 2020 haben sich diese Voraussagen – auf gänzlich unerwartete Weise – in weiten Teilen der Arbeitswelt überholt. Erzwungen durch die Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19, arbeitet nahezu niemand mehr im Büro. Das Arbeitsleben und die Kommunikation verlagern sich auch für Juristen in Kanzleien und Unternehmen auf elektronische Wege, vor allem E-Mail, Telefon und Konferenzanbieter wie beispielsweise Zoom oder Skype.

Einige verwenden auch Slack oder Microsoft Teams. Nach den ersten Wochen der Eingewöhnung stimmen die meisten darin überein, dass die Situation zwar schwierig und die neue Art der Arbeit gewöhnungsbedürftig seien, sich die Räder aber weiter drehten und es auch positive Aspekte gebe – mindestens 15 Jahre früher als erwartet. Sicher ist schon heute, dass diese Erfahrung sich nicht ungeschehen machen lässt und nachhaltige Veränderungen in der Arbeitswelt hinterlassen wird.

Remote-Work nur die Spitze des Eisbergs

Die durch die Umstände erzwungene Erkenntnis, dass erfolgreiche Arbeit für Mandanten oder für das Unternehmen nicht zwingend ständige Präsenz am gleichen Ort voraussetzt, ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Darunter verbirgt sich eine Vielzahl weiterer Aspekte.

Betrachtet man andere Branchen, wie beispielsweise die Softwareindustrie oder Managementberatungen, oder andere Länder, wie insbesondere die USA, stellt man fest, dass vieles davon bereits seit Jahren etabliert und erprobt ist. Die Flexibilisierung der Arbeit bietet einen bunten Strauß an Chancen, Bedrohungen, Notwendigkeiten und altbekannten Mustern. Jede Kanzlei und jedes Unternehmen ist insbesondere nach dem virusbedingten Sprung in die Arbeitswelt 5.0 gut beraten, die Einzelheiten dieser neuen Welt zu kennen.

Denn nur so lässt sich diese Welt aktiv gestalten, statt nur mitgerissen zu werden – oder den Zug gänzlich zu verpassen.

Der Blick auf etablierte Best Practices

Die aktuelle Situation europäischer Kanzleien und Unternehmensrechtsabteilungen im Hinblick auf ihre Arbeitsorganisation ist bei allen kulturellen und fachlichen Unterschieden alles andere als einzigartig. Wendet man den Blick in die USA, wo diese Themen um einiges weiterentwickelt sind, oder schaut man sich andere Branchen an, sind die immer gleichen Herausforderungen, Chancen und Entwicklungsmuster festzustellen.

Mit anderen Worten: Es bestehen bereits Best Practices, also Herangehensweisen und Methoden, die über viele Jahre systematisch geschärft und verbessert wurden. Der Blick auf diese Best-Practices ist vor allem deshalb lohnend, weil er Risiken dramatisch senkt. Statt selbst Herausforderungen zu erkennen und Lösungen zu entwerfen (dabei aber Fehler zu machen, die andere bereits vorher gemacht haben), sollte aus dem enormen Fundus vorhandener „Schwarmintelligenz“ geschöpft werden. Zumindest aber sollten diese Erkenntnisse bekannt sein, um eine solide Grundlage für eigene Entscheidungen zu haben.

Noch immer scheitern zu häufig wohlmeinende Projekte und gute Ideen, weil es an den nötigen fachlichen Grundlagen im Bereich Innovations- und Changemanagement fehlt. Solches Wissen ist bekanntlich nicht Gegenstand der juristischen Ausbildung, aber unentbehrlich, um die Transformation in die Arbeitswelt 5.0 erfolgreich zu meistern.

Vor dem Hintergrund vergleichbarer Entwicklungen in anderen Branchen ist kein Blick in die Glaskugel erforderlich, um zu erkennen, welche Themen nun auf der Agenda von Kanzleien und Rechtsabteilungen stehen werden.

Einiges davon ist im angloamerikanischen Raum bereits seit Jahren unter dem Stichwort „Legal-Operations“ bekannt und Gegenstand zahlreicher Kongresse, Messen und Dienstleistungsangebote. Die dort geführte Diskussion und die Vielfalt entsprechender Anbieter können allerdings davon ablenken, dass die Grundlagen zunächst einmal nichts mit „Legal“ zu tun haben. Vielmehr handelt es sich um elementare Fragen der Arbeitsorganisation in Teams, um die Erwartungen von hochqualifizierten Arbeitnehmern und um das Streben nach größtmöglicher Qualität der Arbeitsergebnisse bei geringstmöglichem Ressourceneinsatz.

Ist der erste Schritt in eine zeitgemäße Arbeitsorganisation getan, wie nun zwangsweise geschehen, stellen sich regelmäßig Folgefragen. Die folgenden vier Punkte bilden das Grundgerüst jeder auch für die kommenden Jahre gewappneten Organisation.

Kommunikation

Die Arbeit von Teams an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten, wie sie durch Covid-19 erzwungen wurde, erfordert neue Formen der Kommunikation. Telefon, E-Mail und Videokonferenzdienste ersetzen die Anwesenheit im Büro ein Stück weit, aber nicht vollständig. Es bleibt eine Lücke, die traditionellerweise durch das schnelle Gespräch an der Kaffeemaschine, das Aufschnappen von Gesprächsfetzen oder die nonverbale Kommunikation von Kollegen gefüllt wird.

Wo steht das Projekt aktuell? Arbeitet der Kollege wirklich an unserem gemeinsamen Projekt oder vielleicht inzwischen an einem anderen Projekt, ohne dass ich es mitbekommen habe? Wie liegen wir in der Zeit? Braucht ein Kollege Unterstützung? All dies sind wichtige Informationen, die in der „klassischen“ Zusammenarbeit meist in Zwischentönen vermittelt werden.

Bei simpler Umstellung der Kommunikationskanäle von „live“ auf „E-Mail/Telefon/Video“ bleiben diese Informationen fast immer auf der Strecke.

Juristen sehen sich häufig als Einzelkämpfer, mit punktueller Unterstützung im Sekretariat oder von Referendaren. Das Selbstverständnis als Teil eines Teams und die damit verbundene Gewährung von Einblicken in die eigene Arbeit entwickeln sich teils zögerlich. Bei der Bearbeitung von Aufträgen in Kanzlei oder Unternehmensrechtsabteilung ist diese Arbeitsweise jedoch klar auf dem Rückzug.

Eine arbeitsteilige Herangehensweise wird schon aus Gründen der Kosteneffizienz immer unverzichtbarer. Arbeitsteiligkeit erfordert allerdings klare und transparente Kommunikation, jenseits von „Command & Control“ per E-Mail, Telefon oder Videokonferenz.

In den vergangenen Jahren hat sich als elementare Kommunikationsgrundlage der Zusammenarbeit in zeitgemäß organisierten Teams das sogenannte Kanban-Board herausgebildet. Häufig zunächst als bunte Spielerei aus Start-ups belächelt, stellt ein Kanban-Board die Verantwortlichkeiten,

den Status, nächste Schritte und eventuelle Hemmnisse in Projekten aller Art auf bestechend einfache Weise dar. Früher mit Post-it-Zetteln an Wände geklebt, gibt es heute zahlreiche digitale Tools wie beispielsweise Trello oder Asana, mit denen Kanban-Boards denkbar

einfach gestaltet und für die Mitglieder des Teams zugänglich gemacht werden können. Das Ergebnis sind erhebliche Effizienzgewinne und nicht zuletzt auch mehr Spaß an der Arbeit durch bessere und relevantere Kommunikation bei gleichzeitig weniger Zeitaufwand für E-Mails oder Video-Telefonate.

Arbeitsprozesse

Spätestens nachdem die Grundlagen für gute, transparente und effiziente Kommunikation im Team gelegt sind, stellt sich erneut die altbekannte Frage nach geeigneten Prozessen für die Bearbeitung von Mandantenaufträgen oder unternehmensinternen Anfragen und Projekten.

Auch hier herrscht in traditionell organisierten Einheiten noch immer eine „Einzelkämpfermentalität“ vor, die in der neuen Arbeitswelt nicht mehr aufrechtzuerhalten sein wird. Statt Bearbeiter X das Fachgebiet Y zuzuweisen, müssen Arbeitsergebnisse und die zu deren Erreichung

erforderlichen Bearbeitungsschritte herausgearbeitet, den jeweils wirtschaftlich und fachlich geeignetsten Teammitgliedern zugewiesen und anschließend zu einem Ganzen

zusammengefügt werden. Arbeitsprozesse müssen industrialisiert werden, wie es in allen anderen Branchen schon lange üblich ist.

Auch hierfür stehen zahlreiche erprobte Methoden zur Verfügung. Arbeitsprozesse können beispielsweise mit Hilfe sogenannter Swimlanes entwickelt oder mit dem Werkzeugkoffer des Design-Thinkings hinterfragt und gestaltet werden. Es gibt Methoden, die es ermöglichen, konsequent die Perspektive des (externen oder internen) Kunden einzunehmen und auf diese Weise ergebnisorientierte Prozesse zu gestalten, beispielsweise mittels des sogenannten Requirements-Engineerings oder durch die Entwicklung von User-Stories und Customer-Journeys.

All dies klingt zunächst esoterisch, unnötig und übermäßig kompliziert. Tatsächlich handelt es sich jedoch um ausgesprochen einfache Ansätze, die schnell zu positiven Ergebnissen führen. Es lohnt sich, von der häufig anzutreffenden Haltung „Ich bin Experte und weiß genau, wie es funktionieren muss!“ einen Schritt zurückzutreten und neue Perspektiven einzunehmen.

In der Praxis sowohl von Kanzleien als auch von Rechtsabteilungen beginnt der Einstieg in strukturierte Arbeitsprozesse meist damit, Mandantenanfragen auf intelligente Art entgegenzunehmen. Statt diesen Einstiegspunkt dem Zufall zu überlassen und den zur Bearbeitung erforderlichen Informationen hinterherjagen zu müssen, werden Bedürfnisse mit einfachen Onlineformularen systematisch abgefragt und in passende Kanäle geleitet. Dieser Ansatz kostet außer etwas Gehirnschmalz nahezu nichts und sorgt bei Kanzlei oder Rechtsabteilung für sofortige positive Effekte.

Intelligente Ressourcenplanung

Sind Arbeitsprozesse überdacht und strukturiert, stellt sich zwangsläufig die Frage, wer konkret die einzelnen Arbeitspakete sinnvollerweise ausführen sollte. Ziel der Überlegungen ist es, zu möglichst geringen Kosten ein qualitativ möglichst hochwertiges Ergebnis zu erreichen.

In Kanzleien wird an dieser Stelle üblicherweise in den Kategorien Partner – Associate – Referendar/Hiwi – Sekretariat gedacht. In Rechtsabteilungen ist es der interne juristische Sachbearbeiter, das Sekretariat oder die externe Kanzlei.

Übersehen wird an dieser Stelle häufig, dass es inzwischen weit mehr intelligente Optionen gibt als lediglich diese hergebrachten Kategorien. Auf Konferenzen und in der Fachliteratur wird derzeit vor allem der Einsatz technologischer Lösungen diskutiert, gerne stilisiert zum gefürchteten „Roboteranwalt“.

Unbestritten ist, dass die Digitalisierung auch vor der Juristerei nicht haltmachen wird und viele Arbeitsschritte mit Hilfe von Softwarelösungen besser und schneller erbracht werden können. Fast immer blendet diese Diskussion allerdings aus, dass es sich hierbei um Hilfstätigkeiten handelt und die eigentliche juristische Tätigkeit auf absehbare Zeit weiter einzig von Menschen erbracht werden wird.

Beim Einsatz von Menschen als angestellte Mitarbeiter von Kanzleien oder Rechtsabteilungen stellt sich regelmäßig die Herausforderung, dass sowohl die Quantität der anfallenden Arbeit als auch die Art der dafür erforderlichen Qualifikationen und Erfahrungen mehr oder weniger starken Schwankungen unterworfen sind. Mitarbeiter können aber nicht kurzfristig beliebig aufgebaut, abgebaut und umgeschult werden. Bei hohem Arbeitsanfall werden Mitarbeiter daher Arbeitsbedingungen ausgesetzt, die in der heutigen Zeit nicht mehr wirtschaftlich nachhaltig sind (Kanzleien), oder Aufgaben werden zu unwirtschaftlichen Kosten an Kanzleien vergeben (Rechtsabteilungen).

Bei niedrigem Arbeitsanfall müssen Mitarbeiter bezahlt werden, ohne Wertschöpfung zu erzeugen. Für dieses Dilemma gibt es inzwischen nicht zuletzt mit Axiom, dem vor 20 Jahren in New York gegründeten Pionier alternativer Anbieter, wirtschaftlich deutlich attraktivere Lösungen als im hergebrachten Modell. Ressourcen können punktgenau, mit hoher Effizienz und den benötigten

Fachqualifikationen in die Organisation gebracht werden, wenn sie benötigt werden – und unproblematisch wieder abgebaut werden, wenn sie nicht benötigt werden.

Recruiting und Retention

Die Juristerei ist und bleibt ein „People-Business“. Die tatsächliche

Wertschöpfung der Arbeit von Juristen findet in deren Köpfen statt. Deshalb bleibt es für Kanzleien und für Rechtsabteilungen erfolgsentscheidend, die richtigen Köpfe zu finden, für sich zu interessieren und an sich zu binden.

Deutlich verändert haben sich allerdings die Erwartungen potentieller Mitarbeiter. Neben den hinlänglich diskutierten Themen des Generationenwechsels betrifft das vor

allem die ganz alltäglichen Fragen der Arbeitsorganisation. Wie wird kommuniziert? Ist die Arbeit so organisiert, dass ich mich auf wertschöpfende Tätigkeiten fokussieren kann? Besteht eine angemessene Flexibilität, die eigene Arbeit zu gestalten, oder werde ich einfach nur „mitgezogen“?

Dass es diesbezüglich mehr wirtschaftlich tragfähige Möglichkeiten gibt als zuvor angenommen, wurde durch die von Covid-19 erzwungenen Änderungen für alle Beteiligten offensichtlich. Diese Uhr wird sich nicht zurückdrehen lassen. Kanzleien und Unternehmen sind daher gut beraten, auf die Entwicklungen proaktiv aufzusetzen, nach vorne zu denken und überzeugende Angebote zu machen, die begehrte Mitarbeiter ansprechen und dauerhaft engagiert halten. Werden die vorgenannten Punkte konsequent und professionell umgesetzt, bieten sie eine echte Chance, sich authentisch von den Wettbewerbern um die besten Köpfe im Markt zu differenzieren und gleichzeitig eine nachhaltig leistungsfähige Organisation zu schaffen.

 

Artikel von Daniel Biene, Geschäftsführer Axiom Deutschland und Schweiz

Zuerst veröffentlicht im Deutschen Anwaltsspiegel im März 2020

Posted by Axiom Law